Victor Hugo in Paris und auf Guernsey

Paris - Place des Vosges

Inmitten des Pariser Marais-Viertels liegt der hübsch angelegte Place des Vosges, der ursprünglich Place Royale hieß und nach der Französischen Revolution umbenannt wurde. Eingefasst ist der Platz von symmetrisch angeordneten Häusern in außergewöhnlicher Architektur mit Ziegelfassaden und Arkadengängen. Im zweiten Stock des Hauses Nr. 6 hat Victor Hugo von Oktober 1832 bis Juni 1848 mit seiner Familie gelebt und gearbeitet. Ganz in der Nähe, in der rue Saint-Anastase, lebte seine Geliebte, die Schauspielerin Juliette Drouet. Seit 1902 ist Hugos 280 Quadratmeter große Wohnung ein vielbesuchtes Museum.

Vor Jahren haben wir schon einmal diese üppig ausgestatteten Räumlichkeiten des großen Romanciers besucht. Die Wohnung ist nicht mehr im ursprünglichen Zustand, sie wurde stark verändert, doch sie spiegelt noch immer die Atmosphäre der damaligen Zeit wider. Die Aufteilung der Räume fokussieren einzelne Lebensabschnitte Victor Hugos.

Wie damals gehen wir über das knarzende Parkett durch die hohen Zimmer mit den vielen Erinnerungstücken, durchschreiten Raum um Raum, bis zum Ende, dem Sterbezimmer. Wir stellen uns vor, wie er, an seinem Schreibpult, hier in diesen Räumen den Anfang von "Les Misérables" verfasst, wie er mit nachdenklicher Miene den Gänsekiel ins Tintenfass taucht. Das Tischchen hatte er selbst bei einem Wohtätigkeitsverkauf erworben. Lange schrieb er an dem umfangreichen gesellschaftskritischen Roman, den er erst während seines Exils auf Guernsey beendete. Mit dem entlassenen Galeerensträfling Jean Valjean wird exemplarisch auf das Elend der proletarisierten Arbeitermassen aufmerksam gemacht, die Paris in jenen Zeiten übervölkerten.



Bereits 1831 war sein berühmter Roman "Der Glöckner von Notre-Dame" erschienen, in dem der bucklige Quasimodo der schönen Zigeunerin Esmeralda verfällt. Das monumentale Werk avancierte schnell zum Bestseller und brachte ihm viel Hochachtung ein.
Im Sommer des darauffolgenden Jahres bezog er zusammen mit seiner Frau Adèle und den vier gemeinsamen Kindern die Wohnung am Place des Vosges. Er liebte den Blick auf den Platz. Hier empfing er zahlreiche Gäste und Dichterkollegen.

Charles Dickens, der ihn im Januar 1847 dort besuchte, hielt seinen Eindruck folgendermaßen fest:
"Wir saßen zwischen alten Rüstungen, alten Wandteppichen, alten Truhen, düstren alten Stühlen und Tischen, pompösen alten Baldachinen aus alten Palästen, und die goldenen Löwen schienen mit altersschweren goldenen Kugeln zu kegeln. Die Atmosphäre bei den Hugos war inszeniert als romantisches Schauspiel und erinnerte an ein Kapitel aus einem seiner eigenen Bücher."

Victor Hugo wurde als Sohn eines napoleonischen Generals 1802 in Besançon geboren und wuchs in bürgerlichen Verhältnissen auf. Nachdem sich die Eltern getrennt hatten, lebte er bei der Mutter in Paris. Ab 1816 besuchte er das Privatinternat Lycée Louis-le-Grand. Noch nicht volljährig, veröffentlichte er bereits Gedichte und Tragödien und war schon früh als bedeutender Schriftsteller anerkannt.
Im Jahr 1822 - mit 20 Jahren - heiratete er seine Jugendliebe Adèle Foucher. Fünf Kinder gingen aus dieser Ehe hervor, das Erstgeborene starb bereits kurz nach der Geburt.
1833 lernte er die attraktive Schauspielerin Juliette Drouet kennen, die bald seine Geliebte wurde. Sie nannte ihn "Toto", schrieb seine Manuskripte ab und unternahm Reisen mit ihm, unter anderem an den Rhein.
Zunächst königstreu, war er dennoch nicht blind für die Probleme der Zeit und scheute vor Konflikten mit den Mächtigen seines Landes nicht zurück. In scharfen Worten prangerte er die soziale Lage an und machte die herrschende Regierung dafür verantwortlich. Er setzte sich für die Armen und Unterdrückten ein und verfasste zahlreiche Pamphlete, darunter später eines gegen die Todesstrafe. Der einstige Royalist war zum Republikaner geworden, der sich wortgewaltig dafür einsetzte, das Elend aus der Welt zu schaffen. Seine politischen Einmischungen führten schließlich dazu, dass er das Land verlassen musste.

Nach fast zwanzig Jahren Exil, das er hauptsächlich auf der Kanalinsel Guernsey verbrachte, kehrte er zwar wieder nach Paris, aber nie wieder in die Wohnung am Place des Vosges zurück. Zunächst wohnte er bei seinem Freund Paul Meurice in der Avenue Frouchot.

Victor Hugo fühlte sich Zeit seines Lebens stark von den Frauen angezogen. Die Schauspielerin Juliette Drouard war nicht seine einzige Geliebte. Man sagt ihm zahlreiche Affären nach. Auch mit der 42 Jahre jüngeren berühmten Schauspielerin Sarah Bernhardt soll der "alte Faun" ein Verhältnis gehabt haben. Dieses umtriebige Doppelleben, das sein Biograph André Maurois "erotisches Delirium" nennt, endete, als Hugo im Juni 1878 eine Gehirnblutung erlitt und die Ärzte ihn nötigten, seine Lebensweise radikal zu ändern.

Vier seiner Kinder starben vor ihm. Besonders hart traf ihn der Tod seiner Tochter Léopoldine, die zusammen mit anderen Familienangehörigen bei einem Bootsunglück auf der Seine ertrank. Das einzige seiner Kinder, das ihn überlebte, war seine jüngste Tochter. Seine Frau Adèle war 64jährig im Jahr 1868 gestorben. Zwei Jahre vor seinem Tod starb auch Juliette Drouet, die zeitlebens mit ihm verbunden blieb. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er im gleichen Haus wie seine Enkel in der Avenue d´Eylau, wo er im Mai 1885 einer Lungenentzündung erlag. Das Bett mit den gewundenen Säulen im Sterbezimmer des Hugo-Museums ist das Original-Bett. Sein Sarg war unter dem Arc de Triomphe aufgebahrt, 12 junge Dichter hielten die Totenwache. Bei seiner Beerdigung säumten riesige Menschenmengen die Pariser Straßen. Seine letzte Ruhestätte fand er im Panthéon.

 

Die Kanalinsel Guernsey

 

Nach Aufenthalten in Belgien und Jersey landete Victor Hugo schließlich auf der nur 64 Quadratkilometer großen Insel Guernsey, wo er sich eine stattliche Villa in der Hauptstadt Saint Peter Port kaufte und diese ähnlich üppig ausstattete wie die Wohnung am Pariser Place des Vosges. Ein Besucher beschrieb im Jahr 1867 das Haus auf folgende Weise: "Hauteville, einer der hohen weithin sichtbaren, aristokratischen Stadttheile, welche die Küste krönen, enthält unter andern schönen Baulichkeiten ein schon vom Meere aus deutlich erkennbares, zweistöckiges, ansehnliches Haus, das sich vor den übrigen durch sehr wohnliche Dach-Einrichtungen auszeichnet." *

Die individuell gestalteten Zimmer des Hauteville House sind phantasievoll und überbordend dekoriert. Überall begegnen wir den Initialen V und H. Als Liebhaber von Ziergegenständen und alten Möbeln suchte Hugo auf ganz Guernsey nach passenden Einrichtungsgegenständen und ließ das Haus nach seinen Vorstellungen umgestalten.

In der eher schlichten Dachkammer, in der es im Sommer brütend heiß und im Winter bitterkalt war, arbeitete er an seinem Stehpult äußerst diszipliniert. Seine Geliebte Juliette Drouet, war mit auf die Insel gekommen und bewohnte ein Haus in der Nähe. Von dort aus konnte sie auf seinen "Glaskäfig" sehen.

Von hier aus hatte er einen herrlichen Ausblick und konnte hinunterblicken auf die mittelalterliche Festung Castle Cornet und auf das offene Meer. Bis zur Insel Herm reichte der Blick, an klaren Tagen konnte er sogar die Schemen des 50 Kilometer entfernten Frankreich erkennen.

An den Nachmittagen unternahm er oft ausgedehnte Spaziergänge entlang der Küste mit ihren von Blumen bewachsenen Felsklippen. Hier beobachtete er das Meer und die Landschaft. "Die Arbeiter des Meeres" ist auf Guernsey entstanden und beinhaltet unverkennbare Eigenheiten der Insel. "Die Land- und Seeleute verstehen, was den Teufel betriff, keinen Spaß. Die vom Canal, dem englischen Archipelagus und der französischen Küste haben ihre ganz bestimmten Vorstellungen von ihm" heißt es dort.

Nach seinem Tod übergaben Victor Hugos Erben die Villa der Stadt Paris. Sie beherbergt heute das französische Honorarkonsulat. Drei der Räume, das Arbeitszimmer im Dachgeschoss, sowie der hübsch angelegte Garten sind Besuchern zugänglich. Da das Haus noch immer Eigentum der Stadt Paris ist, kommt das Personal fast ausschließlich aus Frankreich.

Der Dichter wird immer noch sehr verehrt. In den Candie Gardens in Saint Peter Port steht eine große Statue, die ihn mit wehendem Mantel zeigt. Er blickt hinaus aufs Meer in Richtung Frankreich. "Quand la liberté rentrera, je rentrerai", hat er versprochen. "Wenn Frieden ist, werde ich zurückkommen." Nach dem Sturz des Kaisers im Jahr 1871 machte er sein Versprechen wahr und kehrte im Triumphzug zurück nach Paris.

* Eine höchst vergnüglich zu lesende Beschreibung eines Besuchs bei dem großen Dichter auf Guernsey im Jahr 1867 findet sich in der GARTENLAUBE