Schreiben

Einige Gründe, warum ich schreibend mit dem Leben umgehe

"Warum schreiben Sie?"

Das ist eine Frage, mit der jeder Autor und jede Autorin irgendwann konfrontiert wird. Ich könnte es mir einfach machen und sagen: "Weil es mir ein Bedürfnis ist." Aber die Antwort kann natürlich auch komplexer ausfallen.

Schreiben bedeutet für mich, die Welt erweitern durch magische Worte. Einen Mikrokosmos erschaffen durch Phantasie und Einfallsreichtum. Dabei ganz bei sich sein. Dem Klang der eigenen Sprache lauschen. Ein bisschen Gott spielen  ...

Indem ich große und kleine Augenblicke des Daseins sammle, begebe ich mich auf Schatzsuche, bin ich unterwegs in ein Abenteuerland ...

Schreiben schult die Wahrnehmung. Ich will den Dingen auf den Grund gehen, Seelentiefen ausloten, Gewissheiten hinterfragen, mich nicht mit Oberflächlichkeiten aufhalten ...

Wer seine Wahrnehmungen reflektiert, kann seine Sicht auf sein Leben verändern und damit das Leben selbst ... Das hat mit der Grundfrage zu tun: Wie wurden wir, wie wir sind?

Eigene Erfahrungen liefern den Rohstoff für Geschichten. Diese werden in einem Akt der Transformation in Sprache verwandelt. Beim Lesen entsteht ein weiterer Akt der Transformation. Insofern kann Sprache niemals 1:1-Abbildung der Wirklichkeit sein, da jeder Leser die Worte mit seinem eigenen Erfahrungshintergrund füllt.

Um über etwas glaubwürdig schreiben zu können, muss man es nicht unbedingt erlebt haben. Aber man muss nachvollziehen können, warum die Dinge sind wie sie sind ...

Schreiben heißt: Sichtbar machen, was unter der Oberfläche schlummert ...

Schreiben heißt auch, der Eindimensionalität, also dem Denken in eingefahrenen Bahnen, entgegenwirken, keine einfachen absoluten Wahrheiten verkünden, sondern Informationen anbieten, aufgrund derer die Leser selbst ihre Schlüsse ziehen können. Indem ich die Dinge aus verschiedenen Perspektiven betrachte und beleuchte, werden sie vielschichtiger, wahrhaftiger ...

Schreiben bedeutet, mich meiner Vergangenheit zu vergewissern, den Prägejahren nachspüren, um meine Zukunft bewusster gestalten zu können. Schreibend nähere ich mich mir selbst an, erkenne, wie ich auf eine bestimmte Art die Welt betrachte und nehme mich und meine eigene Geschichte als Teil der großen Geschichte wahr. Was natürlich auch für mein erfundenes Personal gilt, das ich auf ebensolche Weise behandele ...

Mit dem Schreiben lassen sich Fäden spinnen, die auch die Zeitgeschichte aufgreifen ...

Schreiben heißt, die Welt entdecken und sie sich doch vom Leib halten ...

Schreiben ist Erkennen und Gestalten ...

Schreiben bewirkt etwas im Kopf und im Herz, wirft Fragen über das Leben auf, die Haltung der Menschen, es weitet den Blick für gesellschaftliche Zustände und das, was wir momentan für selbstverständlich halten ...

Schreiben bedeutet, die schwindende Existenz zu protokollieren - sie dadurch aufzuhalten.

Schreiben bedeutet, die Zeit zu verdichten - Jahre können wie Momente sein...

Und auch das ist mir bewusst: Jedes Schreiben ist Manipulation mit trickreichen Wortspielen ...

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"Schreiben deckt Schichten auf." Günter Grass

"Schreiben, das ist Träumen auf Papier." T.C. Boyle

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Und warum ausgerechnet Kriminalromane?

Was mich insbesondere interessiert, ist die Tatsache, dass kein Mord einfach so geschieht. Es gibt immer Gründe. Die mögen uns im wahren Leben verborgen bleiben. Ein Krimi sollte dazu beitragen, zumindest ein wenig das zu erhellen, was uns ansonsten verborgen bleibt. Dies allerdings sollte mit Feingefühl geschehen. Man muss nicht immer Blut spritzen lassen – gerade die nicht in aller Deutlichkeit beschriebenen, sondern nur angedeuteten Fakten regen die Phantasie der Leser in besonderer Weise an.

Mir als Krimiautorin sind Blicke in Abgründe erlaubt, die wir im richtigen Leben niemals zu sehen bekommen - und auch nicht sehen wollen. Es ist die reine Neugier, die mich vorantreibt, in diese normalerweise verschlossenen dark rooms einzudringen ...

Manchmal muss man davon erzählen, wovor man die größte Angst hat. Indem man seine Ängste in Worte bannt, werden sie (be)greifbar und verlieren ihre Schrecken - vielleicht ...

Ich möchte aufzeigen, wie dünn der Firnis der Zivilisation ist, wie leicht wir selbst diejenigen sein könnten, die zurückkatapultiert werden in ein Wesen, das - geschändet und gedemütigt - nur noch Rache im Sinn hat - Rache, das zu vergelten, was man ihm angetan hat ... und dann vielleicht innezuhalten und den Verstand wieder zu gebrauchen, der zeitweise ausgesetzt hat. Das wäre die Kurzversion einer Variante.

Eine andere Variante: Mich in jemand völlig anderen hineinversetzen, mit dem es die Umstände und das Schicksal nicht so gut gemeint haben. Oder in jemand, der zu Unrecht bestraft wurde ...

Den schmalen Grat zwischen "normal" und "kriminell" aufzeigen. Kriminalromane bewegen sich immer entlang von (moralischen) Grenzlinien. Dieses schmale Gebiet zu beleuchten, erscheint mir sehr reizvoll ...

Verbrechen werden von Menschen begangen und von Menschen aufgeklärt, nicht von höheren Mächten. Fehler sind vorprogrammiert - auf beiden Seiten ...

Der Aggression auf die Spur kommen. Herausfinden, warum manche Menschen danach streben, sich selbst oder andere zu zerstören ...

Es wird uns Krimiautoren nachgesagt, dass wir uns viel lebendiger fühlen, wenn wir andere sterben lassen. Zumindest stellen wir nach getaner Arbeit wieder die Weltordnung her. Der Leser klappt das Buch erleichtert zu. Ist doch alles nur ein Roman ...

Von den Altvorderen lernen

z. B. vom Dichter der "blauen Blume" - Novalis
Er nannte sich so, richtig heiß er Friedrich von Hardenberg (einer, der Neuland rodet) - geschrieben hat er im ausgehenden 18. Jahrhundert)
Er wollte Neuland mittels Poesie erschließen - mit Rückgriff auf die Vergangenheit.
In seinem Roman "Heinrich von Ofterdingen" träumt der Titelheld von einer blauen Blume, die sich als das Gesicht eines Mädchens erschließt - seine Verlobte starb in einem blauen Kleid ...
Diesen Nachhall hat Novalis visualisiert

Das Symbol der Romantiker war die ungestillte Sehnsuch nach dem Unendlichen.
Novalis starb früh an Tuberkulose mit 21 Jahren im Jahr 1801.

Er ist uns noch immer Inspirationsquelle für die Gegenwart - Er hat vieles miteinander verbunden. Sozusagen Bild-Netze geschaffen. Er hat Bilder und Phänomene miteinander verbunden, wie Bilder der Nacht und Untertage-Bergwelt beispielsweise.

Seine Texte erzählen von der Suche nach der Innenseite der Welt, ohne dabei die Außenseite zu vernachlässigen. In uns ist die Ewigkeit, die Vergangenheit und die Zukunft.

Forderung: "Die Welt muss romantisiert werden": Indem ich dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen gebe, dem Endlichen einen unendlichen Schein, so romantisiere ich es.

 

To be continued ...