Karl May in Radebeul

Unweit von Dresden liegt der Ort Radebeul, dessen berühmtester Einwohner Karl May ist. Vor Jahren war ich schon einmal im dortigen Museum in der Karl-May-Straße - es ist ein Wiedersehen mit Winnetou und dessen Erfinder.

Den berühmtesten Indianer der deutschen Literatur habe ich in Gestalt von Pierre Brice im Kino kennengelernt  - seither bin ich Winnetou verfallen. Wie sehr habe ich bei seinem Filmtod geweint. Gelesen habe ich nur wenige Karl-May-Bücher, aber den Mythos, den einer der meist gelesenen Autoren des 20. Jahrhunderts ins Leben rief, finde ich nach wie vor faszinierend.

Karl Mays fantastische Romane spielen im Nahen Osten und im Wilden Westen. Die meisten der von ihm exakt beschriebenen Schauplätze hat er selbst nie zu Gesicht bekommen, obwohl er gern behauptete, die Abenteuer seiner Helden selbst erlebt zu haben, gar Narben davon an seinem Körper zu tragen. Realität und Phantasie verschwammen Zeit seines Lebens ...

Sein Schreibtisch

Sein Arbeitszimmer und die Bibliothek gewähren einen kleinen Einblick in seine Welt.

Ein Leben lang bastelte er an seiner Selbstinszenierung als vielgereister Abenteurer: "Ich bin wirklich Old Shatterhand resp. Kara Ben Nemsi und habe erlebt, was ich erzähle", schrieb er in einem Brief aus dem Jahr 1897.

Um die Echtheit seiner Reisen zu "dokumentieren", ließ sich Karl May Gewehre anfertigen: Silberbüchse, Bärentöter und Henrystutzen wurden originalgetreu von einem Dresdner Büchsenmacher im Auftrag von Karl May angefertigt.

Dort im Museum gibt es jedoch nicht nur Hinweise auf Phantastisches und Erfundenes - im Blockhaus "Villa Bärenfett" kann man einen ausgedehnten Streifzug durch die reale Welt der Indianer quer durch den nordamerikanischen Kontinent unternehmen.

Indianer im Blockhaus

Geboren wurde der Sachse im Jahr 1842 in Ernsttal, einem Städtchen im Erzgebirge. Sein Geburtshaus wurde ebenfalls zu einem Museum aufbereitet. Karl May ist in einer kinderreichen Familie in ärmlichen und von Gewalt geprägten Verhältnissen aufgewachsen. Als Zwölfjähriger begann er heimlich Abenteuerromane zu lesen. Die Flucht in die Phantasie war eine Möglichkeit, mit seinem Leben besser fertig zu werden. Später verhalf ihm diese Fähigkeit zu Wohlstand ...

In der Schule machte er sich gut. Als Lehramtskandidat kam er zum ersten Mal wegen kleinerer Verfehlungen in Haft. Spätere Haftgründe waren hauptsächlich Betrug und Hochstapelei. Im Zuchthaus leitete er die Gefängnisbücherei und war dort der eifrigste Leser.

Kurz nach seiner Haftentlassung verfasste Karl May seine erste Erzählung, die sofort veröffentlicht wurde. In der Folgezeit schrieb er wie besessen eine Geschichte nach der anderen, erfand die Figuren Old Shatterhand und Winnetou sowie Kara Ben Nemsi. Seine literarische Produktion schien unerschöpflich und bald schon konnte er gut von seinen Büchern leben. 

Im Karl May Museum Radebeul

1895 erstand er ein Haus mit großem Garten in Radebeul, das er "Villa Shatterhand" nannte. Zwei Jahre später kaufte er auf der gegenüberliegenden Straßenseite noch ein Grundstück dazu. Dort befindet sich heute der "Silbersee".

Auf der gegenüberliegenden Seite

Erst im fortgeschrittenen Alter begann er zu reisen, besuchte die Orte seiner Phantasie, über die er teilweise kenntnisreich, teilweise wunschdenkend, geschrieben hatte. Den "Wilden Westen" jedoch hat er nie zu Gesicht bekommen.

Mit 70 Jahren am 30. März 1912 starb Karl May in seiner "Villa Shatterhand". In kaum einem anderen Land wurden die amerikanischen Ureinwohner so verehrt wie in Deutschland. Seine Protagonisten, die sich stets für Gerechtigkeit einsetzen und gegen die Bösen ankämpfen, sind bis heute unvergessen. Die Gesamtauflage der Karl-May-Bücher wird heute auf 200 Millionen geschätzt.

Portrait in der "Villa Shatterhand."

Von der deutschen Literaturkritik wurde der Sachse allerdings zwiespältig aufgenommen. Ernst Bloch verehrte ihn, May sei einer der spannendsten und farbigsten Erzähler der deutschen Literatur, ließ der Philosoph verlauten. Mit der Pazifistin Bertha von Suttner verband May eine Freundschaft. Thomas Mann gestand, nie ein Buch von Karl May gelesen zu haben und Deutschlands bekanntester Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki schrieb in seinen Memoiren, May sei "ein beachtlicher, ein erstaunlicher Erzähler ..." Allerdings: "Nach der Lektüre einiger dieser grünen Bände wollte ich nichts mehr von ihm wissen - vielleicht deshalb, weil sein Held, Old Shatterhand, mir doch zu stark und mutig war und überdies noch auf gar zu vorblildliche Weise selbstlos."

Keine Frage: Uns würde etwas fehlen ohne diesen Schriftsteller, der in seiner Phantasie so weit zu reisen vermochte und der Männer ersann - wahre Helden - mit denen es so leicht kein realer Mann aufnehmen kann. Seit Generationen gehören die Winnetou-Werke zu den meistgelesenen Büchern der Welt. Und die Phantasiewelt, wie Karl May sie ersann, wird weiter faszinieren.

Heftige Winnetou-Debatte:

Noch immer fordert der Stoff zu neuen Abenteuern heraus. Sofort, nachdem der Kinderfilm "Der junge Häuptling Winnetou" im Sommer 2022 in die Kinos kam, entbrannte eine vehemente Diskussion über den fiktiven Apachen - hauptsächlich ausgetragen in den sozialen Medien. Daraufhin entschied sich der Ravensburger Verlag, die parallel erschienenen Kinderbücher zum Film vom Markt zu nehmen.

Der Karl-May-Stoff schüre koloniale und rassistische Vorurteile und sei ein Fall von "kultureller Aneignung" - so lauten die hauptsächlichen Vorwürfe in diesem Zusammenhang. Andere wiederum sprechen von einem "Woke-Wahnsinn". Die Frage dahinter lautet: Muss man ein Buch vom Markt nehmen, nur weil es eine alte Geschichte neu erzählt? Wohlgemerkt: Eine erfundene, ja, ein wenig fantastische und vielleicht auch nicht ganz realistische Geschichte. Wie das in der Literatur so üblich ist.

An dem Namen Karl May hängt eine ganze kulturelle Industrie. Außer dem Karl-May-Haus gibt es eine Karl-May-Gesellschaft. Neben den Filmen, die regelmäßig im Fernsehen gezeigt werden, finden seit 70 Jahen in Bad Segeberg die Karl-May-Festspiele statt.

"Ich würde mir wünschen, dass diejenigen, die diese Debatte losgetreten haben, ein Karl-May-Buch zur Hand nehmen und lesen", äußert sich André Neubert, Leiter des Karl-May-Hauses in Radebeul. Der Schriftsteller sei zwar ein Kind seiner Zeit mit all den uns heute wohlbekannten Defiziten gewesen, seine Sympathie aber galt immer der indigenen Bevölkerung. Werte wie Treue und Freundschaft hielt er hoch.

Wir sollten immer bedenken: Karl May schrieb erfundene Abenteuergeschichten - und keine Geschichtsbücher. Der filmische Winnetou war - wie wir alle wissen - ein Franzose namens Pierre Brice - der Mays edlen Apachen spielerisch verkörperte. Etwas mehr Gelassenheit im Zusammenhang mit der Fiktion würde uns allen guttun.