Tatort Rheinbrücke

Der achte Fall für die Koblenzer Kriminalkommissarin Franca Mazzari

Gabriele Keiser: Tatort Rheinbrücke
erschienen März 2023 im
Gmeiner-Verlag

Buchpremiere war am Freitag, den 17. März 2023 im Foyer der Rheinhalle Remagen

 

Zum Inhalt

Juni 2021: Vor den Brückentürmen in Remagen wird die Leiche eines Mannes aufgefunden. Was zunächst wie eine Routine-Angelegenheit anmutet, entwickelt sich immer mehr als Rätsel, denn der angesehene Gymnasiallehrer ist mit einer Polizei-Dienstwaffe erschossen worden. Mehr denn je ist Franca Mazzaris Hilfe gefragt, doch die Kommissarin befindet sich im Urlaub im Trentino, der Heimat ihres verstorbenen Vaters ...

Drei Schauplätze

Der Roman spielt an drei unterschiedlichen Schauplätzen: In Remagen, wo das Verbrechen passiert. Im Trentino, wo Kriminalkommissarin Franca Mazzari ihren Urlaub verbringt und in Berlin, der Heimat von Romina Weiss, einer Bundespolizistin, die in Verdacht geraten ist, mit ihrer Dienstpistole den Lehrer Thorsten Herzog erschossen zu haben.

Friedensbrücke Remagen
Foto: Walter Ley

Juni 2021: Auf der Plattform vor den Brückentürmen in Remagen wird die Leiche eines Mannes aufgefunden.
Die Friedensbrücke ist weit über die regionalen Grenzen hinaus bekannt.

Textauszug:

"Der Tote lag vor den Türmen der ehemaligen Brücke. Neben ihm eine Farbsprühdose mit seinen Fingerabdrücken", berichtete Clarissa am Telefon.
"Ein Graffiti-Sprayer? Die sind doch in der Regel harmlos. Wieso knallt man denn so jemand ab?"
"Tja, über die Hintergründe wissen wir noch so gut wie nichts. Du kennst die Brücke von Remagen?"
"Wer kennt die nicht?", antwortete Franca.
"Ich musste mich erst mal schlau machen, warum die so berühmt ist. Also, da sind die Amerikaner drüber und dann war der Krieg zu Ende. Im März 45 war das. Ich hab immer geglaubt, die Amis haben die Brücke zerstört. War aber nicht so. Gesprengt haben die unsere eigenen Leute. Also deutsche Soldaten."
Als Franca schwieg, fügte sie hinzu: "Du weißt auch nicht so genau, was es mit der Brücke auf sich hat, oder?"
"Ist das jetzt eine Geschichtsstunde?"
"Quatsch! Was ich eigentlich sagen will: Der Mann ist mit einer Polizeiwaffe getötet worden. Die ist Romy geklaut worden ..."
"Deiner Freundin Romy Weiss?"
"Ja. Sie wohnt in Remagen. Ist seit November dienstunfähig, weil sie während einer Demo niedergeschlagen wurde. Hatte ich dir erzählt."
"Ich erinnere mich dunkel. Und wo ist jetzt das Problem?"
"Es gibt die Vermutung, sie könnte was mit der Sache zu tun haben."
"Wieso das denn? Wenn ihr doch die Waffe geklaut wurde?"

 


Die Friedenskapelle Schwarze Madonna auf dem Gelände der ehemaligen Rheinwiesenlager

Die Inschrift auf dem Boden der Kapelle mahnt eindringlich:
„Frühere Fehler dürfen nicht wiederholt werden. Vergeltung ist keine Liebe und Haß kein Boden, auf dem Frieden gedeihen kann.“


Schauplatz Berlin

Die Familie der Schutzpolizistin Romina Weiss gehört der Volksgruppe der Sinti an. Die Eltern taten jedoch alles, sich anzupassen, um nicht aufzufallen. Aber die Vergangenheit kann niemand leugnen: Der Großvater väterlicherseits hat in einem Notizbuch schlimme Erfahrungen festgehalten. Als Romina diese Notizen liest, ist sie tief erschüttert.

Aus dem Notizbuch von Remo Weiss:

Rastplatz Marzahn nannten sie den Berliner Außenbezirk, in dem sie uns abluden. An den Rand hat man uns gedrängt. Weg aus der Gesellschaft, weg aus unserem bisherigen Leben. Wellblechbaracken standen dort sowie unzählige Planwagen, dicht an dicht. Unsere Familie bekam einen dieser Blechcontainer zugewiesen, wo wir alle auf engstem Raum zusammengepfercht lebten. Doch »lebten« ist eigentlich zu viel gesagt, wir vegetierten dahin.
...
Der Rastplatz lag neben dem Städtischen Friedhof und fürchterlich stinkenden Rieselfeldern. In einem solchen Umfeld zu wohnen, war uns vom Gesetz her verboten, aber das kümmerte niemanden.
»Mit Betteln und Herumlungern ist jetzt Schluss«, sagten uns die Aufpasser und erklärten uns, wir Zigeuner seien
von Natur aus »gemeinschädlich« und »asozial«. Geborene Verbrecher. Lügner, Diebe. Deshalb sei es notwendig, dass man uns aussortiert habe. All das hing mit den Olympischen Spielen zusammen, wie ich viel später erfuhr. Man wollte die Stadt »säubern«.

Gedenkstätte Zwangslager Marzahn - direkt neben dem Parkfriedhof

 
 Gedenkstein im Parkfriedhof

Auf dem Findling (aufgestellt im September 1986) ist zu lesen:
VOM MAI 1936 / BIS ZUR / BEFREIUNG / UNSERES VOLKES / DURCH DIE / RUHMREICHE / SOWJETARMEE / LITTEN IN EINEM / ZWANGSLAGER / UNWEIT DIESER STÄTTE / HUNDERTE ANGEHÖRIGE / DER SINTI / EHRE / DEN OPFERN.

Auf der Marmorplatte (enthüllt im Juni 1990) stehen die Worte:
Den Berliner Sinti, die im Zigeunerlager Marzahn litten und in Auschwitz starben. Mai 1936 - Mai 1943. ATSCHEN DEVLEHA

Devleha bedeutet: Auf Wiedersehen.
Das Romanes-Wort für den Völkermord an den europäischen Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus ist Porajmos (deutsch: „das Verschlingen“).

Zusammen mit ihrer Mutter besucht Romina verschiedene Gedenkstätten.

Textauszug:

Gemächlichen Schrittes gingen sie zurück zum Brandenburger Tor. Dahinter erhob sich die edle Fassade des Hotels Adlon.
»Mama, weißt du was. Jetzt machen wir was Schönes. Ich würde dich gern ins Adlon einladen.«
»Das ist viel zu teuer!«, protestierte die Mutter.
»Ich weiß. Aber manchmal muss man sich auch was gönnen. Besonders auf diesen Schrecken hin. Komm, wenigstens auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen.«
»Wenn du meinst.«
Hintereinander betraten sie das Foyer. Und waren geblendet. »Das ist alles so einschüchternd«, meinte die Mutter mit einem Rundumblick auf die Kronleuchter, den Marmor und die eleganten Möbel. ...
»Ich habe das Adlon als Ruine in Erinnerung. Auf der anderen Seite der Mauer.«
»Jetzt ist es ein luxuriöses Grandhotel. Und wir dürfen hier speisen. Man verweist uns nicht der Tür.« Forsch ging Romina auf einen kleinen Tisch zu und nahm auf einem der gepolsterten Sesselchen Platz. Ihre Mutter setzte sich neben sie. In der Nähe sprudelte der legendäre Elefantenbrunnen.

Der Elefantenbrunnen im Hotel Adlon

Einmal mehr wurde ihr bewusst, wie dicht die unterschiedlichsten Welten nebeneinander liegen konnten.
Als sie in die leuchtenden Augen ihrer Mutter sah, wusste sie, wie sehr diese der Besuch im Adlon freute.
»Sieht man hier nicht am deutlichsten, wie sich alles verändert hat?«
Ein dauerlächelnder Kellner brachte die Speisekarte.
»Such dir was aus«, sagte Romina großzügig.
»Man weiß gar nicht, wofür man sich entscheiden soll. So üppig ist das alles.« Frau Weiss blickte ihrer Tochter ins Gesicht. »Es ist wirklich schön, dass wir beide das hier erleben dürfen. Weißt du, man hat uns immer viele Steine in den Weg gelegt. Über manche sind wir gestolpert. Das tat weh. Aber wir leben hier. In diesem Land. Wir hatten es wesentlich einfacher als unsere Eltern. Und ihr Kinder noch mehr. Wir fühlen uns zugehörig.« Sie hielt kurz inne. »Zumal wir kein anderes Land haben.«

 
Schauplatz Trentino

Textauszug:

Mehrmals hatten ihre Eltern eine Reise ins Trentino angedacht, verwirklicht wurde sie jedoch nie. Man konnte ja nicht das Geschäft sich selbst überlassen.
Franca sah hinaus auf das smaragdgrüne Wasser des kleinen Sees direkt am Hotel in die gewaltige Bergwelt mit ihren gezackten und schneebedeckten Kronen. Hier konnte man richtig demütig werden. So schön ist das Trentino. Und das alles hast du versäumt, Mama.
Es gab so viel für sie zu erkunden. Aber wenn sie tatsächlich das Häuschen erwarb und hierher zog, würde sie reichlich Gelegenheit dazu haben.
Heute stand ein weiterer Ausflug zusammen mit Michele auf dem Programm. Zuerst sollte es nach Bozen gehen und von dort aus zur deutschen Kriegsgräberstätte Pordoi, eine von den Nazis im Dritten Reich geförderte Totenburg hoch oben in den Bergen der Sellagruppe. "Dort kannst du an der Architektur die faschistische Ideologie erkennen", hatte Michele gesagt. "Lange haben sie an dem Koloss gebaut. 1959 wurde er fertiggestellt. Mit deutschen Geldern. Ihr haltet eure Nationalhelden wahrlich in Ehren." Das hatte etwas spöttisch geklungen. "Allerdings ist das bei uns nicht anders. Wusstest du, dass es in Italien nie eine Entnazifizierung gab? In der Engelsburg in Rom ist noch heute auf einer Inschrift zu lesen, wie sehr man Mussolini verherrlicht. Die wurde nie entfernt."
"Sicher findest du auch noch in Deutschland solche Insignien",  erwiderte Franca. "Ich bin mir auch nicht sicher, ob bei uns die Entnazifizierung so richtig gefruchtet hat. Wenn man liest, welche überzeugten Nazis nach dem Krieg einfach weitermachen konnten wie vorher, kommt man ins Zweifeln."

 


Das Pordoijoch

Sie wusste nur zu gut, dass die Sympathien für den Nationalsozialismus nach dem Krieg nicht plötzlich vorbei waren. Und momentan erlebten sie eine wahre Renaissance. Überall auf der Welt. Auch in Italiens Norden gingen die Rechten auf Stimmenfang. Neonazis, die die deutsche Vergangenheit wie ein unwichtiges abgeschlossenes Kapitel in der Weltgeschichte ansahen und gleichzeitig von einem vierten Reich träumten.
Dass sich viele hochrangige Nazis - darunter zahlreiche gesuchte Kriegsverbrecher - in den Bergen versteckten, um über die so genannte "Rattenlinie", die über Südtirol bis nach Rom und Genua führte, um von dort nach Südamerika zu fliehen, hatte ihr Michele berichtet. "War man erst mal in Italien, konnte man sich relativ sicher fühlen. Im Besitz eines Südtiroler Ausweises galt man als staatenlos. Und staatenlose Flüchtlinge erhielten auf unbürokratische Weise Reisedokumente vom Internationalen Roten Kreuz."
Das, was Michele ihr darüber erzählte, war Franca vollkommen unbekannt. Neu war ihr ebenfalls, dass die Kriegsverbrecher bei ihrer Flucht von der katholischen Kirche tatkräftig unterstützt wurden. Ihr Cousin hatte ihr einige bekannte Namen genannt: Adolf Eichmann, der Organisator des Holocaust, versteckte sich unter den Falschnamen Richard Klement auf einem Südtiroler Bauernhof, bis ihm die Flucht über die grüne Grenze gelang. Danach lebte er einige Jahre unbehelligt in Argentinien, bis er schließlich vom israelischen Geheimdienst aufgespürt und vor Gericht gestellt wurde. Auch der sadistische KZ-Arzt von Auschwitz Josef Mengele hatte eine falsche südtiroler Identität bekommen und schlug sich unter verschiedenen Aliasnamen ebenfalls bis nach Argentinien durch, wo er bis zu seinem natürlichen Tod ein angenehmes Leben führte.
"In den Kriegen wurde zwischen den Felsen hart gekämpft. Viele sind dort gestorben. Du weißt ja, mein Vater war bei den Partisanen, auch er hat sein Leben aufs Spiel gesetzt. Weil er von seiner Sache überzeugt war. Wenn man durch die Berge wandert, findest du buchstäblich auf Schritt und Tritt Kriegsrelikte. Überreste alter Kriegswege, Granatsplitter oder verrosten Stacheldraht."
Auch der Pordoi-Pass war ein Schauplatz erbitterter Kämpfe gewesen, wo etliche tausend Gefallene des Ersten Weltkriegs begraben wurden. Nach dem zweiten Weltkrieg hat man dort nochmal ein paar hundert gefallene Soldaten dort beigesetzt. Das war die Zeit, als durch das Trentino die Grenze zwischen K. u. K. Österreich und Italien verlief.  
"Willst du wirklich dorthin?", hatte Michele gefragt.
"Es ist eine Gedenkstätte", antwortete Franca. "Und je mehr wir uns erinnern, umso eher kann vielleicht verhindert werden, dass so etwas wieder geschieht."


Auf dem Pordoijoch

 

In diesem Roman wird einmal mehr deutlich, wie sehr die Schatten der Vergangenheit noch immer die Gegenwart verdunkeln und wie nahe Idylle und Schrecken nebeneinanderliegen.