Interview mit der Krimi-Autorin Gabriele Keiser

Im Februar 2013 erschien Vulkanpark, der vierte Fall für die Koblenzer Kriminalkommissarin Franca Mazzari - ein etwas anderer Eifelkrimi

Worum geht es in Vulkanpark?

Einfach gesagt, geht es um schlimme Verbrechen an Kindern. Aber im Grunde genommen geht es um ein Herantasten an existenzielle Fragen: Inwieweit hat die Vergangenheit etwas mit dem Heute zu tun? Inwieweit kann die Polizei Verbrechen verhindern? Gibt es Mittel, den vorgezeichneten Weg eines Menschen – nennen Sie es Schicksal –  zu beeinflussen? Mit anderen Worten: Wie hilfreich sind Therapien?

Beim Schreiben dieses Buches ist mir besonders deutlich geworden, dass sich der so genannte normale Mensch nicht wesentlich anders verhält als der Verbrecher, dass die Grenzlinien bisweilen sehr dünn sind.

Wie meinen Sie das?

Nun, jeder bastelt sich doch irgendwie sein Weltbild zurecht – jeder möchte gut da stehen, auch wenn er einen Fehler gemacht hat oder etwas Schlimmes getan hat. Menschen neigen dazu, sich die Wahrheit ein bisschen zurechtzubiegen, das kann man überall beobachten.

Ich bin der Meinung, dass wir alle gute und böse Anteile in uns tragen, es kommt darauf an, wie wir damit umgehen. Und wir alle sind gewissermaßen Manipulateure. Weil wir wollen, dass Menschen sich uns gegenüber in einer bestimmten Weise verhalten.

Rührt daher auch das große Interesse am Thema „Profiling“?

Vielleicht. Bevor ich Vulkanpark geschrieben habe, habe ich Unmengen an Profilerliteratur verschlungen. Profiling ist nichts anderes als ein Zweig der Psychoanalyse: Dort wird menschliches Verhalten in einer Weise analysiert, um Rückschlüsse auf die Person und deren Charakter zu erhalten. Man bekommt ein genaueres Täterbild.

Allerdings entschuldigen Profiler nichts – sie versuchen lediglich, unvoreingenommen nachzuvollziehen. Denn mit moralischen Wertungen kommt man bei der Verbrechersuche nicht weit.

Nun beschreiben Sie aber sehr schlimme Verbrechen an Kindern. Warum?

Ich bin eine eifrige Zeitungsleserin. Sehr oft kann man von diesen abscheulichen Verbrechen lesen, mit denen niemand im wahren Leben konfrontiert werden möchte. Dennoch passieren sie. Mörder sind eine Herausforderung für unsere Gesellschaft. Sie zwingen uns, uns mit ihnen zu beschäftigen, weil sie zu unserer Welt gehören.

Was mich insbesondere interessiert, ist die Tatsache, dass kein Mord einfach so geschieht. Es gibt immer Gründe. Die mögen uns im wahren Leben verborgen bleiben. Ein Krimi sollte dazu beitragen, zumindest ein wenig das zu erhellen, was uns ansonsten verborgen bleibt. Dies allerdings sollte mit Feingefühl geschehen. Man muss nicht immer Blut spritzen lassen – gerade die nicht in aller Deutlichkeit beschriebenen, sondern nur angedeuteten Fakten regen die Phantasie der Leser in besonderer Weise an.

Ihr Krimi trägt die Unterbezeichnung „Eifelkrimi“. Ist diese regionale Kategorie nicht sehr einschränkend?

Der Fluss Nette

Vulkanpark spielt am östlichen Rand der Eifel. Also dort, wo ich lebe, wo ich mich auskenne und folglich auf einfache Weise recherchieren kann. Ich bin der Meinung, dass eine Umgebung etwas mit den Menschen zu tun hat, die dort leben, das spiegelt sich im Roman wider. Die Menschen in der Eifel wussten immer um die Launen der Natur. Aber ich gebe gern zu: Vulkanpark ist ein etwas anderer Eifelkrimi.

Franca Mazzari erlebt in diesem Roman eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Durchbrechen Sie damit nicht die Forderung, Liebesgeschichten und Krimis sollten nicht miteinander vermengt werden?

Auf solche Forderungen gebe ich nichts. Ich möchte Menschen aus Fleisch und Blut beschreiben mit ganz normalen Bedürfnissen. Und der Wunsch nach einem Lebenspartner steckt doch in jedem. Außerdem wurde ich öfter darauf angesprochen, weshalb Franca denn kein Liebesleben habe, und diesem Leserwunsch habe ich entsprochen.

Aber gleich so?

Satiriker und Krimiautoren übertreiben nun mal gern. In Wirklichkeit wird die Polizei ja auch nicht mit so vielen Leichen konfrontiert, wie wir Krimiautoren sie ihnen zuschreiben. Die wären ja alle hoch traumatisiert.

Was ist für Sie am wichtigsten? Die Handlung, also der Plot, oder die Charaktere?

Die Charaktere sind zuerst da. Im Fall der Serie ja schon über einige Bücher hinweg. Diesen Charakteren muss ich Rechnung tragen, ihre Verhaltensweisen berücksichtigen. Natürlich entwickeln sie sich, sie bleiben nicht stehen, machen neue Erfahrungen. Sie sind nicht eindimensional. Sie reagieren auf verschiedene Anforderungen unterschiedlich.

Aber mit jedem neuen Buch kommen auch neue Charaktere hinzu. Es macht mir großen Spaß, diese zu entwickeln. Ich lote aus, dringe in ihre Seelenwelt vor, sowohl in die der Täter als auch in die der Opfer, beschreibe auch Schmerz und Ohnmacht. Der Plot erwächst gleichsam aus den Figuren, weil sie es sind, die die Richtung vorgeben.

Es gibt bestimmte Themen, die mich sehr reizen und die ich immer wieder aufgreife, natürlich in immer anderen Variationen. Das Thema, das mich am meisten fasziniert, ist der Mensch mit all seinen Unzulänglichkeiten. Oft sind wir mit der sogenannten Angstlust konfrontiert: Wir sind von etwas fasziniert, fürchten aber die Konsequenzen. Dann kommt es darauf an, wem wir nachgeben: Unserer Neugierde oder der Angst. Und aus einem solchen Konflikt erwachsen wunderbare Geschichten.

Lesen wir auch wieder von Clarissa?

Diese Figur hat viele Leser fasziniert. Clarissa ist jung, sie ist hip, sie ist neugierig und äußerst kompetent. Sie hat eine steile Karriere gemacht, ist nun eine anerkannte Jungkommissarin. Allerdings gerät sie in diesem Roman an ihre Grenzen und stellt sich die Frage, ob sie den richtigen Beruf gewählt hat. Wahrscheinlich eine Frage, die sich jeder Polizist im Laufe seines Berufslebens stellt. Wer angesichts der schlimmen Geschehnissen, mit denen Polizisten immer wieder konfrontiert werden, die emotionale Distanz verliert, geht unweigerlich vor die Hunde.

Aber natürlich gibt Clarissa nicht so einfach auf. Sie geht gestärkt aus der Krise hervor und wird auch in weiteren Romanen eine Rolle spielen.

Schauplatz von Vulkanpark: Der Rauscherpark bei Saffig. Gestellte Szene